Das Vorkommen von Kurzsichtigkeit hat sich in den letzten Jahrzehnten drastisch erhöht. Studien aus Ostasien berichten seit längerem über einen zwei- bis vierfachen Anstieg von Kurzsichtigkeit in der Bevölkerung: In Singapore, China und Korea sind heute 85% and 96% aller Teenagern und jungen Erwachsenen kurzsichtig. Ähnliche Untersuchungen aus den USA und Europa bestätigen den Trend, auch hier hat sich in den letzten Jahrzehnten der Anteil der kurzsichtigen Bevölkerung verdoppelt.

Kurzsichtige Menschen sehen in der Nähe scharf, weiter entfernte Gegenstände können jedoch nur verschwommen wahrgenommen werden. Das Auge ist im Gegensatz zum normalen, fast kugelförmigen Auge meist zu lang gewachsen. Der Brennpunkt der einfallenden Lichtstrahlen liegt damit nicht auf, sondern vor der Netzhaut und das abgebildete Bild erscheint unscharf. Um ein scharfes Sehen in der Ferne zu ermöglichen, muß der Brennpunkt mittels Zerstreuungslinsen (in der Form von Kontaktlinsen oder einer Brille) nach hinten auf die Netzhaut verschoben werden.

Lange Zeit wurde angenommen, dass Kurzsichtigkeit ausschließlich vererbt wird. Genetiker haben fast 30 Chromosomen identifiziert, die mit Kurzsichtigkeit in Verbindung gebracht wurden. Der rapide Anstieg der Kurzsichtigkeit weltweit läßt jedoch auf eine Interaktion zwischen genetischen und Umweltfaktoren schließen.

Bereits in den neunziger Jahren fiel Wissenschaftlern auf, dass die Fehlsichtigkeit bei Schülern, die extrem viel lesen oder studieren, höher war als bei anderen Schülern. Ausserdem haben sich in den letzten 10 Jahren die Sehgewohnheiten vor allem auch junger Menschen, die immer mehr Zeit vor Smartphones, Tablets und Computern verbringen, noch weiter zum „Nahsehen“ verschoben. Ein zu langer Augapfel ist vorteilhaft für das  Sehen in der Nähe. Paßt sich das Auge den veränderten Lebensgewohnheiten an?

Eher zufällig entdeckte dann ein amerikanisches Forscherteam, die Schüler nach ihren Freizeitgewohnheiten befragt hatten, dass Stubenhocker besonders häufiger kurzsichtiger sind. Dieses Ergebnis legt die Vermutung nahe, dass eventuell das Licht oder vielmehr ein „Lichtmangel“ ebenfalls eine Rolle spielen könnte. Kinder verbringen zunehmend weniger Zeit im Freien und selbst eine helle Innenbeleuchtung von 500 Lux kann mit den Lichtbedingungen im Freien nicht mithalten. Tatsächlich ging in Taiwan die Zahl der Kurzsichtigen zum ersten Mal seit vielen Jahren zurück, als man dafür sorgte, dass Kinder mindestens zwei Stunden am Tag draußen verbrachten und außerdem alle halbe Stunde das Lesen für 10 Minuten unterbrachen.

Wissenschaftler gehen heute davon aus, dass jedes zweite Kind ca. ab acht Jahren beginnt, kurzsichtig zu werden. Kurzsichtigkeit, die oft als „einfache Fehlsichtigkeit“ abgetan wird, bedeutet aber nicht nur, eine Brille oder Kontaktlinsen zu tragen. Eine hohe bzw. extrem hohe Kurzsichtigkeit ist auch mit Erkrankungen wie Grüner Star, Netzhautablösung und Makuladegeneration assoziiert und nach dem Grauen Star die zweithäufigste Ursache einer Sehbeeinträchtigung im Alter.

Es ist zu hoffen, dass weitere Studien Licht ins Dunkel bringen.

Quellen:

Concern for myopia progression increases with alarming rise in global prevalence / Part 2

Time indoors may increase myopia risk in children